Kalt gefahren - Nordkapreise im Winter

Kalt gefahren - Nordkapreise im Winter

71° 10′ 21″ Nord, 25° 47′ 4″ Ost, so lauten die Koordinaten des Nordkaps. Dieser Punkt im hohen Norden Europas ist das Traumziel vieler Motorradfahrer. Aber sicher nicht im Winter. Andreas Hülsmann (Text und Fotos) und Rainer Krippner (Fotos) haben sich bei Kälte und Schnee aufgemacht, um diesen magischen Punkt bei frostigen Bedingungen zu erreichen.

Wir kommen einfach nicht aus Lakselv weg. Draußen herrschen minus 18 Grad Celsius, bisher hatten wir es warm, die kleine Elektroheizung in der Hütte schaffte es, die Luft auf 24 Grad zu erwärmen. Doch diese kuschelige Atmosphäre wollten Rainer und ich schon längst hinter uns gelassen haben, doch im Moment sitzen wir hier fest. Rainers Harley ziert sich. Die rustikalen minus 18 Grad behagen der Pan Am nicht. Keine Frage, der V2 bemüht sich, und immer wieder können wir ihm einige Takte abringen – doch für einen kontinuierlichen Lauf reicht es nicht. Meine Ténéré schafft es nicht, genügend Strom für den 1250er Motor zur Verfügung zu stellen. Erst mit der energetischen Unterstützung eines 4WD kommt Schwung in die amerikanische Lady.

Erst Fähre, dann Autozug – bis Rovaniemi war die Tour ziemlich gemütlich, ab dem Polarkreis geht es auf vereisten Straßen Richtung Nordkap

Das Fahren mit Spikes auf blankem Asphalt ist kein Spaß

Sechs Tage haben wir mit den Motorrädern bis Lakselv gebraucht. Eigentlich ein bemerkenswertes Tempo unter diesen eisigen Bedingungen, aber diese Strecke haben wir nicht nur auf unseren Motorrädern abgeritten. Die Reise auf zwei Rädern begann erst am finnischen Polarkreis in Rovaniemi. Bis dahin verlief die Tour sehr entspannt. Die Finnlady der Reederei Finnlines schipperte uns in einem Tag und zwei Nächten fast auf Kreuzfahrt-Niveau über die Ostsee nach Helsinki. Von der finnischen Hauptstadt ging es per Autozug in einer Nacht weiter nach Rovaniemi. Vor fünf Jahren waren Rainer und ich schon einmal auf dieser Route Richtung Norden unterwegs. Damals waren wir mit meinem Gespann und einer BMW XChallenge von Helsinki gestartet und haben für die 850 Kilometer lange Strecke an den Polarkreis zweieinhalb Tage gebraucht. Diese Zeit wollen wir nicht noch einmal durch das bloße Abreißen von Kilometern verschwenden, zudem hat das Fahren mit Spikes auf blankem Asphalt nicht viel mit Fahrspaß zu tun.


Noch ist das Wetter gut, aber schon kündigt sich das nächste Sturmtief mit heftigem Wind an

Das Hochdruckfenster wird nur kurz geöffnet sein

Unser Abstecher zum Wohnsitz des Weihnachtsmannes am Polarkreis ist nur von kurzer Dauer. Und schon einen Tag später sind wir, nach 550 Kilometern über Inari und Karassjok, in Lakselv gelandet. Das Nordkap liegt in Reichweite, doch wir müssen endlich auf die Straße, wollen wir auch nur in die Nähe dieses magischen Ortes kommen. Das Tageslicht ist hier oben knapp zu dieser Jahreszeit. Die Pan America wie auch die Ténéré haben sich langsam warmgelaufen. Aber wirklich voran kommen wir nicht. Fast hinter jeden zweiten Kurve stoßen wir auf einen faszinierenden Spot. Die tiefstehende Sonne hüllt die Landschaft in ein ganz besonderes Licht.

Erst gegen zwei Uhr am Nachmittag erreichen wir Older­fjord, knapp 70 Kilometer liegen da gerade hinter uns. Der späte Aufbruch in Lakselv und die Fotostopps haben Zeit gekostet. Bis zum Kap sind es noch 130 Kilometer und die sind heute sicher nicht mehr zu schaffen. Aber wir müssen so dicht wie möglich an die Koordinaten von 71° 10‘ 15.431“ nördliche Breite und 25° 47‘ 1.176“ östliche Länge herankommen, denn der Wetterbericht prophezeit für morgen Vormittag ein Hochdruckfenster, das aber nicht allzu lang geöffnet sein wird.

Der Himmel ist sternenklar. Trotz der guten Voraussetzungen ist vom Nordlicht nichts zu sehen

Wir hangeln uns von einem Markierungspfahl zum nächsten

Mit jedem Kilometer wird es schwerer weiterzukommen. Eine undurchsichtige Menge an Schneeflocken tanzt vor meinem Visier. Die Sicht ist fast auf null gesunken. Rainer und ich hangeln uns von einem Markierungspfahl am Rand der Straße zum nächsten. Der Sturm wird heftiger. Die Fahrt durch den Tunnel, der hinüber zur Insel Magerøya, auf der das Nordkap liegt, führt, ist da schon fast eine Erholung. Wir passieren Honningsvåg, den größten Ort auf der Nordkap-Insel. Trotz der Bedingungen haben wir Skarsvåg ins Auge gefasst, eine kleine Ansammlung von Häusern, nur wenige Kilometer vom Kap entfernt. Laut Suchmaschine gibt es dort drei Unterkünfte, von denen zwei ganzjährig geöffnet haben – so verspricht es das Smartphone. Doch die analogen Fakten zeigen eine andere Realität. Nichts hat offen. Die mühsam erkämpften Kilometer von Honningsvåg nach Skarsvåg wieder aufgeben und zurückrutschen? Nein, das ist keine Option, da sind Rainer und ich uns schnell einig. Die im Wind wild tanzenden Schneeflocken verdunkeln das Licht, das die Straßenlaternen in die Nacht werfen. Für uns sieht es düster aus. Dann taucht aus dieser Finsternis ein Quad auf. »You're looking for accommodation?« Nur allzu gerne beantworte ich diese Frage mit »yes«. Kurz darauf befinden wir uns in einer kuschelig warmen Ferienwohnung, die zu einem Fischercamp gehört. Der junge Mann hat uns zufällig gesehen und glücklicherweise unsere Lage erkannt. Wir plauschen noch etwas, und er gibt uns einige Tipps für unsere morgige Fahrt zum Nordkap. Wenn die Schranke am Abzweig zum Kap offen sei, wäre alles okay und wir sollen dann einfach weiterfahren, rät er uns.

Im Februar schafft es die Sonne nur knapp über den Horizont.

Die tief stehende Sonne projiziert warme Farben auf den Schnee

Rainer und ich sind am kommenden Morgen früh auf den Beinen. Die Wettervorhersage, die unter unserer permanenten Beobachtung steht, prophezeit nur ein kleines Zeitfenster mit Sonnenschein, das nächste Sturmtief hat sich bereits für den frühen Nachmittag angekündigt.

Wenn Wasserfälle gefrieren, erstarren sie zu bizarren Formen.

Die Schranke am besagten Abzweig ist offen und damit der Weg zum Nordkap frei. Wir fahren durch eine wildromantische Winterlandschaft und erfreuen uns an den warmen Farben, die die tief stehende Sonne auf den Schnee projiziert. Oben auf dem Plateau weht schon ein ordentlicher Wind. Noch gehört das nördliche Ende Europas uns allein, also die Motoren gar nicht erst kalt werden lassen und mit den beiden Reiseenduros direkt zur Kugel. Nirgendwo auf der Welt kommt man mit dem eigenen Fahrzeug weiter in den Norden.

Der Wind wirbelt die Luft ordentlich durch. Wir genießen noch einen Kaffee und leckere Blåbær-Kake (Blaubeerkuchen), bevor wir wieder Richtung Süden aufbrechen. Als wir Honningsvåg erreichen, hat der Sturm bereits Orkanstärke. Im Hotel planen wir noch voller Zuversicht den nächsten Tag, stecken das morgige Ziel ab und erfreuen uns anschließend an den gastronomischen Möglichkeiten des kleinen Ortes.

Der nächste Morgen. Eine Weiterfahrt ist unmöglich. Die Straßen sind zugeweht, nicht einmal im Konvoi geht etwas. Mindestens zwei Tage müssen wir auf Magerøya bleiben, so die Prognose unserer Verkehrs-App. Es sollen noch drei weitere Tage vergehen, bis wir wieder Richtung Süden aufbrechen können.

Wir kommen beim nördlichsten Harley-Club der Welt unter

Alta hat die blaue Saison gerade hinter sich. Zwischen Mitte November und Anfang Januar geht an diesem Ort die Sonne nicht auf, was die 12.000 Bewohner der kleinen Stadt in dieser Zeit statt der Sonne sehen, ist das dunkle Blau des Himmels. Wir kommen bei den Bunkers unter, die Mitglieder bezeichnen ihren Verein als den nördlichsten Harley-Davidson-Club der Welt. Die Pan America wird intensiv begutachtet. Die Jungs sind zwar an der Enduro-Variante aus Milwaukee sichtlich interessiert, doch bevorzugen sie durchweg die klassischen Ausgaben amerikanischer Motorradbau-Kunst. Während die Pan America die Nacht zusammen mit uns in der warmen Werkstatt verbringen darf, muss meine Ténéré draußen bleiben. Die kleine Japanerin macht sich nichts daraus und springt – wie gewohnt – nach einer kalten Nacht mit Temperaturen um die minus 15 Grad Celsius schon beim ersten Knopfdruck an.

Besuch bei den »Bunkers« in Alta, dem nördlichstem Harley-Club der Welt.

Rainer und ich peilen Tromsø an. Die Stadt sei so speziell, dass sie Menschen verändern kann, habe ich in einer Broschüre über die Stadt gelesen. Ihre Lage am Nordpolarmeer, die Eismeer-Kathedrale, das Polarmuseum: Es gibt einiges in Tromsø, das das Interesse der Besucher weckt.

Die Aussicht auf ein Himmelsspektakel in der Stadt treibt uns an. Unsere Polarlicht-App prophezeit für die kommende Nacht die besten Aussichten, Nordlichter zu sehen. Und tatsächlich, draußen vor der Stadt weht ein heftiger Sonnenwind und zaubert tanzende grüne und rosa Lichter in den Nachthimmel. Die skandinavischen Länder wie Island, Schweden, Finnland und Norwegen, streiten sich darum, wer die beste Lightshow bietet, wobei sich Tromsø in diesem Disput zu einer Art Polarlicht-Hauptstadt entwickelt hat.

Geschafft: Die Koordinate 71° 10′ 21″ Nord, 25° 47′ 4″ ist erreicht.

Ein Sturmtief nagelt uns auf den Lofoten fest

Von Tromsø geht es mit den »Hurtigruten« auf die Lofoten.

Wir visieren unser nächstes Ziel an, die Lofoten. Die Wetterberichte zeigen sich wenig freundlich, was diese Region betrifft. Warum also das schlechte Wetter nicht umgehen und mit den Hurtigruten auf die Inselgruppe schippern. Mitten in der Nacht geht es los, die »Nordkap« macht um ein Uhr am Kai in Tromsø fest. Einen ganzen Tag dauert die Fahrt. Es ist wieder mitten in der Nacht, als uns die Fähre am Hafen von Svolvær ausspuckt.

Glück gehabt: Wir finden eine Unterkunft im nächtlichen Schneesturm.

Ein weiteres Sturmtief nagelt uns in der Stadt fest, jeder Versuch, etwas von den landschaftlichen Reizen der Lofoten zu entdecken, wird von heftigem Schneegestöber vereitelt. Nusfjord und Reine sind sehenswerte Orte, die aber aufgrund des heftigen Schneegestöbers für uns unerreichbar bleiben. Wir schaffen gerade die 25 Kilometer bis zum Fischerdorf Henningsvær. Rainer und mir wird klar, wir müssen runter von der Inselgruppe, für die kommenden Tage wird das Wetter eher schlechter als besser. Wir recherchieren im Internet, und auch die Dame an der Rezeption ist bemüht, uns zu helfen. Letztendlich gibt es für uns Gewissheit, die Fähre von Moskenes rüber ans Festland nach Bodø fährt morgen. Wenn der Sturm nicht heftiger wird.

Im Sommer nur eine Tagesetappe, braucht es im Winter für die Strecke von Inari zum Nordkap wesentlich mehr Zeit.

Wir sind früh auf den Beinen, um die Fähre nicht zu verpassen. Weit kommen wir an diesem Tag jedoch nicht. Es sind wenige Kilometer, die wir unterwegs sind, da legt die Harley plötzlich die Arbeit nieder. Der Motor stoppt und will nicht mehr anspringen.

Vor mir liegt eine winterliche Solofahrt von 1700 Kilometern

Einige Stunden später steht die Pan America in einer Werkstatt. Der Mechaniker fällt ein ernüchterndes Urteil: Hier auf den Lofoten lasse sich das Motorrad sicher nicht in absehbarer Zeit reparieren, so seine Diagnose. Rainer wird die weitere Rückreise per Flieger antreten. Vor mir liegt eine Solofahrt von knapp 1700 Kilometern.

Auch diese werden nicht ganz sturmfrei verlaufen. Immer wieder bekomme ich es auf der E6 mit Straßensperrungen zu tun. Die Gründe dafür sind immer die gleichen: Zu viel Schnee, oder der Wind ist so heftig, dass er mal wieder einen Lkw von der Straße gepustet hat. Rainer ist schon längst zu Hause, als ich nach einigen Umwegen den Hafen von Malmö erreiche und mich die »Finntrader« zurück nach Deutschland bringt. 

Die »Nordnorge« bietet auch bei - 12° Celsius Entspannung.

Klar zum Ablegen: Verzurren der Motorräder auf der Finnlady.

Reiseinformationen

Anreise

Ein schneller und warmer Weg zum Polarkreis ist die Kombination aus Fähre und Autoreisezug. Von Travemünde bietet Finnlines täglich eine Fährverbindung nach Helsinki an. Die Überfahrt dauert 29 Stunden. Abfahrt 3.00 Uhr morgens, am darauffolgenden Tag legt die Fähre gegen 9.00 Uhr in Helsinki an.

www.finnlines.com

Von der finnischen Hauptstadt ist es möglich, am selben Tag per Autozug nach Rovaniemi weiterzufahren. Die Abfahrt ist am Abend, am nächsten Morgen gegen 8.00 Uhr erreicht der Zug sein Ziel.

www.vr.fi

Die Anreise mit der Finnlines-Fähre und dem Autozug ist auch im Sommer eine gute Alternative für eine Reise Richtung Polarkreis bzw. Nordkap. Diese Kombination spart knapp 1400 Kilometer und einige Tage gegenüber der Anfahrt auf Achse über das südliche Schweden.

Klima und Reisezeit

Wer das Polarlicht sehen möchte, muss nicht unbedingt im Winter nach Skandinavien reisen. Sobald die Dunkelheit wieder in den hohen Norden zurückkehrt, besteht die Chance, das Nordlicht am Nachthimmel zu sehen. Die Temperaturen bewegen sich im Frühjahr und Herbst zwischen 15 Grad Celsius und dem Gefrierpunkt. Sehr viel Reizvolles hat der Winter zu bieten. Eines der Highlights ist sicher eine Fahrt durch die verschneiten Wälder. Die Temperaturen können zu dieser Jahreszeit auch weit unter den Gefrierpunkt fallen. Nachts sind Minusgrade im zweistelligen Bereich keine Seltenheit. Auch die lange Dunkelheit sollte nicht unterschätzt werden. Je nach ­Monat gibt es nördlich des Polarkreises gar kein Tageslicht oder nur für wenige Stunden.

Motorradfahren im Winter

Im nördlichen Skandinavien sind die Straßen im Winter mit Eis und Schnee bedeckt, was den Einsatz von Spikes erforderlich macht. Es gilt: Je mehr desto besser. Bei der Ténéré wie auch bei der Pan America wurden pro Reifen circa 500 Spikes verschraubt. In Deutschland sind die Stahlstifte verboten, also muss das Motorrad per Hänger zur Fähre transportiert werden.

Auch Lenker-Stulpen und warme Stiefel gehören zur Grundausstattung für die Winterreise. Was die Bekleidung betrifft, gibt es unzählige Möglichkeiten sich warm zu halten. Bewährt hat sich das Zwiebelprinzip, angefangen von der körpernahen Funktionswäsche bis zur Thermokombi. Rainer Krippner von Touratech Kassel hat mit dem Compañero Rambler auf dieser Tour sehr gute Erfahrungen gemacht.

Unterkünfte

Es liegt in der Natur der Sache, dass viele Campingplätze vom Herbst bis ins Frühjahr geschlossen haben. Aber unterwegs gibt es immer wieder die Möglichkeit, eine Hütte zu mieten. Ein wärmendes Willkommen und Hütten zu einem guten Preis gab es in der Nähe von Orsa (Rosentorp). Sehr nett sind auch Caroline und Daniel, die den Sandsjögården betreiben. Der Preis für Hütten liegt je nach Größe und Ausstattung zwischen 50 und 100 Euro pro Nacht. Hotels bieten Zimmer für ca. 100 Euro pro Nacht an, das Frühstück ist meistens inklusive.

Geld und Papiere

Personalausweis, sowie Führer- und Fahrzeugschein sind obligatorisch. Eine grüne Versicherungskarte sollte im Reisegepäck dabei sein. Ebenfalls nicht fehlen sollten Kredit- und EC-Karte, denn das bargeldlose Bezahlen setzt sich in Skandinavien immer weiter durch. Nicht wenige Tankstellen bieten nur noch Kartenzahlung an.

Internet

www.visitsweden.com

www.schweden-tipp.de



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