Die neue Southeast Backcountry Discovery Route führt in den tiefen Süden der USA. Fernab der bekannten touristischen Highlights gibt eine Reise auf dieser Strecke intensive Einblicke in die Seele Amerikas.
Text: Jim James, Fotos: Ely Woody
Als Adventure Rider entwickelt man eine ganz bestimmte Einstellung zum Unterwegssein. Man schätzt das Unbekannte, nimmt Umwege in Kauf und hat Freude am Unerwarteten. Als ich mit dem Team zur Expedition entlang der neuen SEBDR aufbrach, war mir nicht klar, wie intensiv ich mich auf diese Philosophie würde einlassen müssen.

Die Kurvenstrecken entlang der SEBDR sind schier endlos.

Zwischenstopp am historischen Webb Brothers Store in Reliance, Tennessee.
Ich habe Jahrzehnte damit verbracht, Amerika mit dem Motorrad zu erkunden, aber der Südosten war immer noch ein weißer Fleck auf meiner Mental Map. Ich hatte dieselben Fragen, die sich viele Motorradfahrer aus anderen Ländern stellen: Gibt es dort überhaupt abenteuerliche Strecken? Ist das Terrain herausfordernd und inspirierend? Sind die Landschaften und die Kultur so fesselnd wie in den Rockies oder im Pazifischen Nordwesten? Die Antwort, und das wurde mir auf dieser Reise sehr schnell klar, ist ein eindeutiges Ja.

SEBDR-Routenarchitekt Kirk Lakeman (vorne) auf einer der anspruchsvollen Alternativstrecken.
DIE NEUE SOUTH EAST BACKCOUNTRY DISCOVERY ROUTE
Die SEBDR ist der jüngste Zugang in unserer wachsenden Sammlung abenteuerlicher Strecken durchs Hinterland amerikanischer Bundesstaaten. Diese knapp 2.100 Kilometer lange Route beginnt am strahlendweißen Sandstrand von Navarre Beach, Florida und schlängelt sich durch Alabama, Georgia, Tennessee und North Carolina, bevor sie in Damascus, Virginia, an die Mid-Atlantic BDR (MABDR) anschließt. Damit vervollständigt diese Route unser Angebot an der Ostküste. Kombiniert mit Mid-Atlantic BDR und North East BDR steht Adventure Ridern jetzt eine zusammenhängende, rund 5.600 Kilometer lange Abenteuerroute von der kanadischen Grenze bis an die Küste des Golfs von Mexiko zur Verfügung.

Die SEBDR kann auch sehr staubig sein.
VOM GOLF ZU DEN APPALACHEN
Die warme Oktobersonne strahlt über dem Navarre Beach, als wir unsere Reise gen Norden antreten. Ich steige auf meine voll beladene Yamaha Ténéré 700 und lasse lichte Kiefernwälder an mir vorbeiziehen. Das Team findet schnell seinen Rhythmus. Über unsere Sprechanlagen ertönt Gelächter und fröhliches Geplänkel, während wir ausgelassen Schotterfontänen aufwirbeln.

Brian Duke, Scout für den Streckenabschnitt in Alabama, führt das Team durch seinen Heimatstaat.

Entlang der Strecke sind jahrhundertealte Häuser zu sehen.
Einer der ersten Höhepunkte ist der Halt im Conecuh Sausage Café in Evergreen, Alabama. Es ist eine einfache Raststätte, die man nie auf einem der einschlägigen Reiseportale finden würde, aber hier essen wir die beste Wurst der ganzen Reise. Mit vollen Bäuchen und vollen Tanks sind wir bereit weiterzufahren. Der Untergrund wechselt permanent und fordert größte Vorsicht von uns – feiner Sand, harte Waldwege und roter Lehm folgen aufeinander, bis wir auf felsigen Anstiegen die Ausläufer der Appalachen erreichen. Je tiefer wir nach Alabama vordringen, desto mehr überrascht mich die Landschaft. Erntereife Baumwollfelder, Städte aus der Zeit des Bürgerkriegs und dichte Wälder voller Herbstfarben machen deutlich: Dies ist eine Region voller Kontraste.

Selma, Alabama: Ort der Bürgerrechtsmärsche in den 1960er Jahren.
Wir fahren durch Selma und überqueren die Edmund Pettus Bridge. Ein eindrucksvoller Moment, der uns geistig für einen Moment in die Zeit der Bürgerrechtsbewegung zurückversetzt. Die Brücke, benannt nach einem General der Konföderierten und Mitglied des Ku-Klux-Clan, ist der Ort, an dem die Polizei 1965 einen Protestmarsch schwarzer Bürgerrechtler mit brutaler Gewalt stoppte. In einem zweiten Anlauf gelang es Martin Luther King schließlich, einen Marsch unter massivem Schutz durch Militär und Nationalgarde über die Brücke bis nach Montgomery, die Hauptstadt Alabamas, zu führen. Wer tiefer in diese komplexe und schmerzhafte Epoche der amerikanischen Geschichte eintauchen möchte, dem sei ein Besuch im lokalen Museum, das im historischen Eisenbahndepot der Stadt untergebracht ist, empfohlen. Ein Stück weiter nördlich erklimmen wir den Flagg Mountain – den südlichen Endpunkt des berühmten Fernwanderwegs Appalachian Trail – und blicken auf eine riesige, bewaldete Wildnis. Dieser Ausblick gibt uns einen ersten Eindruck davon, wie viel ungezähmtes Land es im Osten noch gibt.
CHARAKTERE, DIE SICH ERGÄNZEN
Unser Team besteht diesmal aus einer Mischung von BDR-Veteranen, neuen Gesichtern und internationalen Gästen. Tobias Wachter von Edelweiss Bike Travel ist aus Österreich eingeflogen, Jocelin Snow bringt ihre Energie und ihr Charisma ein. Und unsere Dokumentarfilmer Sterling Noren, Michael Bielecki und Ely Woody halten die Reise in faszinierenden Bildern fest, indem sie die ganze Zeit über im Hintergrund Schwerstarbeit leisten. Schnell verschmilzt die Gruppe zu einer eingeschworenen Einheit. Wir fahren zusammen, essen zusammen und erzählen uns Geschichten am Lagerfeuer. Jeder Tag bringt neue Herausforderungen und stärkt die Gemeinschaft.

Die »Graffiti- Brücke« über den Cahaba River.

Friedhof im Talladega National Forest mit Gräbern aus der Zeit des Bürgerkriegs.
Nach der Überquerung der Grenze zu Georgia wird das Gelände felsiger und technischer. Von Cave Spring bis Ellijay führt uns ein Mix von schnellen Schotterpisten und engen Waldwegen weiter nordwärts. Wir nehmen uns die Zeit, malerische Aussichtspunkte wie Jenkins Gap anzusteuern, um den Blick über die Landschaft schweifen zu lassen. Die Unterkünfte entlang der SEBDR sind so unterschiedlich wie das Terrain. Eine Nacht schlafen wir in einer Wandererhütte am Pinhoti Trail. Eine andere verbringen wir im Mulberry Gap Adventure Basecamp, einem Paradies für Biker und Wanderer gleichermaßen, wo wir eine herzhafte Mahlzeit erhalten.
HALLOWEEN IN DEN WÄLDERN VON TENNESSEE
In Ellijay, Georgia, genießen wir den vielleicht besten Kaffee der Reise in Das Kaffeehaus – eine unerwartete Entdeckung in dieser kleinen Stadt in den Bergen. Gestärkt durch Espresso und gute Gespräche durchqueren wir Tennessee und verbringen die Nacht in den gemütlichen Hütten des Welcome Valley Village am Ocoee River. An diesem Abend stößt ein neuer Fahrer zu uns – Dustin Wheelen vom RevZilla Blog Common Tread. Just zu dem Zeitpunkt, als sich Dustin unserer Gruppe anschließt, wird das Wetter kalt und nass – und das Terrain immer anspruchsvoller. Es ist Halloween, und die düsteren Wälder von Tennessee bieten die perfekte Kulisse.

Übernachtung im historischen Planwagen: Welcome Valley Village in Benton, Tennessee.

Steinige Alternativroute zum Skyway Motorway.
WITT ROAD UND NORTH CAROLINA
Am nächsten Tag steht einer der berühmtesten Abschnitte der Strecke auf dem Programm: Witt Road. Die zahlreichen Wasserdurchfahrten in diesem Gebiet sind für ihre kniffligen Felsböden und ihre unberechenbare Tiefe bekannt. Wegen des kürzlichen Regens sind diese Furten eine echte Herausforderung für uns. Doch wir gehen die Sache mit Bedacht an, wählen sorgfältig unsere Linien und bewältigen sämtliche Wasserläufe ohne Ausrutscher. Auf der Fahrt nach North Carolina gelangen wir immer höher in die Berge, wo Nebel und Regen auf uns warten. Heizgriffe und Regenkleidung sorgen für etwas Komfort.
Geradezu paradiesisch erscheint uns da Maria‘s Diner in Andrews, wo wir uns mit heißem Essen und Kaffee aufwärmen, während unsere Ausrüstung zum Trocknen auf Stühlen hängt. Angesichts der feuchtkalten Witterung gönnen wir uns heute eine Übernachtung im Nantahala Village Resort. Nach einem langen Tag im Regen ist dies der perfekte Ort, um sich zu trocknen, Geschichten auszutauschen und sich auf unsere letzte Etappe vorzubereiten.

Piste im Norden Floridas.
MISSION ACCOMPLISHED
Unsere letzte Etappe führt entlang der Winding Stairs Road und hinauf zum Mile High Campground, dem mit 1.648 Metern höchsten Punkt der SEBDR. Jetzt ist unsere Reise komplett: Wir sind auf Meereshöhe gestartet und genießen nun den Blick über die Appalachen. Sterling und Michael nehmen die letzten Interviews auf, während Ely Fotos schießt. Wir reflektieren unsere Erlebnisse und die gelernten Lektionen. Für mich ist diese Fahrt auf der SEBDR viel mehr als eine weitere Motorradreise, sie hat mich zu den Wurzeln meiner Leidenschaft fürs Adventure Riding zurückgeführt.

Das gesamte Team der SEBDR-Filmexpedition im Pinhoti Outdoor Center in Sylacauga, Alabama.
15 JAHRE BDR
Backcountry Discovery Routes (BDR) sind mehr als nur GPS-Daten. Sie sind Erlebnisse, die mit Sorgfalt zusammengestellt wurden und inspirieren sollen. Sie führen Adventure Rider in kleine Städte und zu vergessenen Orten. Sie unterstützen die lokale Wirtschaft. Sie bewahren den Zugang zu öffentlichem Land. Im Jahr 2025 feiert BDR sein 15-jähriges Bestehen. Über 32.000 Kilometer an Routen sind erschlossen. BDR wächst weiter und wird demnächst neue Routen in Texas, Montana, Michigan, Ohio, Nordkalifornien, den Adirondacks, British Columbia, Kanada und in vielen weiteren Regionen erschließen.
Der Auftrag ist der gleiche wie vor 15 Jahren: Eine Gemeinschaft aufbauen, Routen erhalten und Enduroreisenden einzigartige Entdeckungen ermöglichen. In diesem Sinne ist die SEBDR nicht nur eine weitere Linie auf der Landkarte. Sie ist ein Fenster in eine Region, die von Reisenden zu oft links liegen gelassen wird. Sie ist der Beweis dafür, dass Abenteuer nicht immer mit großen Höhen oder Abgeschiedenheit verbunden ist.
Weitere Informationen auf www.RideBDR.com
DER AUTOR
Tim James ist Vorstandsvorsitzender des gemeinnützigen Vereins Backcountry Discovery Routes.