Auf der Schokoladenseite | Bosnien-Reise von Dirk Schäfer

Auf der Schokoladenseite | Bosnien-Reise von Dirk Schäfer

Drei Jungs, drei Bikes. Der Wunsch nach einer Offroadtour fern ihrer bisherigen Ziele führt Dirk Schäfer und seine Buddies nach Bosnien. Zeit zu Staunen.

Niemand mag es, in die Dunkelheit zu fahren, ohne zu wissen, wo man übernachten wird. Und wir, Thorsten, Ferdi und ich, sind exakt damit beschäftigt, es nicht zu mögen. Wir waren bei Bihac nach Bosnien eingereist, hatten ein paar Kilometer auf der Hauptroute Richtung Sarajevo abgespult und waren dann, mehr einem Instinkt als tatsächlichem Wissen folgend, in Petrovac nach Süden abgebogen. Irgendwo da soll ein fulminanter Offroadtrack verlaufen, dessen Einstieg wir erst noch finden müssen. Aber heute bestimmt nicht mehr. Schweres Dunkel zieht über die waldigen Kurven, über die die Reifenflanken unserer Zweizylinder schmirgeln. Plötzlich hält Thorsten an: »Habt ihr das Schild da gesehen?«

Besser geht’s nicht: ­Sonnenuntergang bei Mostar

Der Hinweis auf eine Art Unterkunft ist so willkommen wie der Hinweis auf die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf der jetzt beginnenden Waldpiste. Die Scheinwerfer irrlichtern zwischen den Baumstämmen aber den roten Kreis mit den 130 km/h hat jeder von uns gesehen. Dabei sind wir hier mit 30 Sachen schon flott dabei. Ferdi stoppt die KTM und grinst unter dem Helm: »Offenbar gibt’s hier Leute mit Humor. Aber wo ist jetzt diese Unterkunft?«


Wilde Wälder: Bosnien hat viele davon

Eine Ansammlung heimeliger Hütten, warmes Licht aus einer Art Taverne: Hier sind wir richtig! Und das Beste ist, dass Etno Selo mit seinen Hütten offenbar ein bekannter Spot unter Motorrad-Travellern auf dem Balkan ist.Denn wir sind nicht die einzigen, deren Bikes vor einer der Hütten parken. In der Taverne wird zünftig aufgetischt. Ein Luxus, den wir am kommenden Abend entbehren müssen. Unfreiwillig.

Der Hammer! Diese Piste durch die Karstlandschaft könnte aus dem neuen Avatar stammen. Rechts und links der Strecke ist die Erde in trichterförmige Mulden eingebrochen. Sechster Gang. Ferdi und Thorsten ziehen ordentliche Staubfahnen hinter sich her. Wir sind auf dem Track, den wir gesucht hatten. Eben der dreht jetzt plötzlich nach Osten in ein hügeliges Waldgebiet ab. Kurvig, hakelig und schon ein bisschen dämmrig. Ferdi stoppt die 790er an einer unscheinbaren Stelle. »Was ist?«, will ich wissen. Er deutet aufs Vorderrad: »Platten.« Thorsten kommt dazu. »Das haben wir gleich.« Haben wir nicht.

Erst mal Luft ablassen. Pisteneinstieg bei Drvar

Flugshow: In der Altstadt von Sarajevo

Wenn man nicht mit den eigenen Bikes verreist, gerät die Vorsorge für Ausnahmesituationen schon mal aus den Augen. Der passende Innensechskant für die Vorderradachse der KTM ist in keinem Werkzeug-Set zu finden. Ohne den kein Flicken, kein Weiterfahren. Handy? Kein Empfang. Der nächste Ort? Circa 20 Kilometer. Thorsten: »Einer könnte losfahren und Hilfe organisieren.« Ich: »Wir könnten hier zelten und die Ideen kreisen lassen.« Ferdi: »Gibt’s hier Bären?« Wir bauen die Zelte auf.

Aus dem waldigen Morgendunst dröhnen der Diesel eines VW Bulli und das Scheppern eines Hängers. »Junge, Junge, Junge! Der ganze Weg ist voll Bärenscheiße!« Albert, der Fahrer des Bullis macht aus seiner Beobachtung keinen Hehl, und Ferdi produziert nachträglich eine kurze Sorgenfalte auf seiner Stirn. Dabei haben wir allen Grund zur Freude. Nur ein paar Meter von unserem unfreiwilligen Camp auf der Waldpiste gab es doch Empfang, und wir konnten Albert, den Chef von Enduro-Spirit Bosnien, erreichen. Für ihn ist es selbstverständlich sofort zu helfen. Noch mehr: Er ist die personifizierte Herzlichkeit, fährt begeistert Enduro und spricht astrein Deutsch. Das Verladen der KTM beschließt Albert mit: »Und jetzt fahren wir in mein Restaurant – was essen!«

Motorraddusche nach der Schokoladenpiste nahe des Stausees Ramsko Jezero

Mit einem neuen Schlauch in der KTM und amtlichen Pizzen im Bauch starten wir wieder durch. Albert entlässt uns aber nicht ohne einen guten Ratschlag. Und den nehmen wir ernst. Trotzdem schlagen wir ihn später in den Wind. Aus Überheblichkeit? Nein, weil es kein Zurück mehr gab. Aber das bemerkten wir erst, als es schon zu spät war. Aber der Reihe nach.

Albert nennt sie die »Schokoladenpiste«. Was soll an Schokolade schlecht sein? Vielleicht wären wir eher stutzig geworden, wenn er sie »Mousse au Chocolat-Piste« genannt hätte. Schokomasse. Cremig. Schmierig. Und jetzt stehen wir mitten drin in der Mousse au Chocolat, die Grobstoller mit erdiger Creme zugepampt. Hilflos quirlt Thorstens Ténéré pfannkuchengroße Erdfladen in den Himmel. Ferdis KTM steht still. Vortrieb null. »Soll ich schieben?« »Wie denn? Hier rutscht man auch zu Fuß weg!« Wir wähnen uns an der Stelle, vor der Albert uns warnte. Aber die kommt erst, als wir uns wieder auf sicherem Terrain glauben. Bis dahin: Fußeln, bugsieren, schlittern.


Von der Schokoladenpiste zum Ramsko Jezero Stausee

Das türkise Wasser des Ramsko Jezero entfaltet einen Magnetismus, dem vor allem ich nicht widerstehen kann. Das Dumme: Dem Panoramablick über den prachtvollen See steht eine Reihe von Büschen im Weg. Aber circa 100 Meter weiter gibt es eine kleine Aussichtsplattform. »Das ist aber sehr steil und grob hier!«, merkt Ferdi an. Ich muss zugeben, dass es eher Felsbrocken als Steine sind, die vorgeben, eine Piste zu sein. »Ach komm, sind ja nur 100 Meter. Ich mache kurz ein Foto und dann fahren wir wieder hoch.« Mir ist immer noch ein Rätsel, warum er sich darauf eingelassen hat. Und warum wir nicht schnallten, dass dies die Stelle ist, vor der uns Albert warnte.

Noch ist alles in Ordnung: Fotostopp am Ramsko Jezero

Die T7 holpert mit Thorsten geschickt über die Felsen, dass ich nicht anders kann, als das souverän zu nennen. Ferdi müht sich redlich mit der 790er und insgeheim verwünscht er vermutlich, dass ich ihn bequatscht habe. Ich selber bin verwundert über die stoische Africa Twin, die mich selbstbewusster aussehen lässt, als ich tatsächlich bin. Aber die 100 Meter gehen vorüber und das Foto ist schnell gemacht. Jetzt müssen wir nur die 100 Meter wieder zurück. Zurück? Unmöglich! »Ist das nicht die Route, von der Albert sagte: Fahrt da nicht runter!« Ich bekomme Puls. »Ach, das wird schon klappen! Runter ist doch einfacher als rauf.«

Waldarbeit: Sind wir hier richtig?

Es wird später Abend, als wir wieder in Alberts Pizzeria einlaufen. »Und wie war‘s?« Wir drucksen herum: »Naja, das fing mit der Schokoladenpiste an …« 

Also wo geht’s lang? Wenn Navi und Google am Ende sind, helfen, die Locals gerne weiter

Reiseinformationen

Anreise / Reisezeit

Bosnien-Herzegowina erstreckt sich im Wesentlichen über die Hochtäler des Balkan­. Eine Reise dorthin kommt vom späten Frühsommer bis in den Herbst in Frage. Ab München sind durch Österreich, Slowenien und Kroatien 640 Kilometer bis zur Einreise bei Bihac abzuspulen. Auf den Autobahnen der Transitländer fällt Maut an.

Die Strecke

Die asphaltierten Routen waren sämtlich in gutem Zustand. Die Pisten haben zum großen Teil immer noch Verkehrsbedeutung und sind daher meist gepflegt. Die Route von Gornji Vakuf-Uskoplje über Vaganjac zum Ramsko Jezero See ist nur bei Trockenheit befahrbar. Die Abfahrt von Rat zum See wird derzeit ausgebaut und sollte demnächst leicht befahrbar sein. Grobes Profil ist auf jeden Fall Pflicht, wenn Offroad-Etappen eingeplant sind.

Highlights auf der Route sind die sehenswerten Altstädte von Sarajevo und Mostar. Besonders Mostar verzeichnet in der Ferienzeit einen enormen Besucherzulauf. Zeichen des Jugoslawienkriegs sind in beiden Städten immer noch unübersehbar.

Überbleibsel des Jugoslawien-Kriegs in Mostar

Etwas östlich von Mostar bietet der Pistenausflug zur Ruine der Merdzan Glava Festung einen guten Ausblick auf die Stadt und die umgebende Berglandschaft.

Unterkünfte

Nur acht Kilometer nordöstlich von Dvar bietet das Restoran Etno Selo Dodig neben guter Kost auch einfache Hüttenübernachtungen an. Sehr urig! Tel. +387603242677, Adresse: Podovi bb 80260.

Ebenfalls gut essen und übernachten kann man in Gornji Vakuf-Uskoplje im Restaurant Roma. Angeschlossen ist ein kleines Hotel, das oft Motorradfahrer zu Gast hat. Gastgeber sind Albert und Ivan, die in Bosnien geführte Endurotouren anbieten. Tel. +38730495981, www.enduro-spirit.com

Piste am slowenischen Schneeberg

Aktivitäten

Die jüngste Geschichte hat es nicht immer gut mit dem Balkan gemeint. Eine tragische Rolle spielte unter anderem Sarajevo. Ein besonderes und einmaliges Museum widmet sich den Kindern, die im Krieg groß wurden. Das War Childhood Museum wurde 2018 vom Europäischen Museums Forum als bestes Museum des Jahres ausgezeichnet.

www.warchildhood.org



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